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Ablenkungsmanöver
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von Cerny ©1992-2011 - zuletzt überarbeitet: 26.06.2011
 

Ohne, dass heute noch großartig darüber nachgedacht wird, hat sich auch die so genannte „8-8-8-Regelung” als völlige Selbstverständlichkeit der persönlichen und allgemeinen Lebensgestaltung etabliert: 8 Stunden arbeiten, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf - als würde es sich um eine natürliche Gesetzmäßigkeit handeln.

Eine nur - wenn überhaupt - kaum diskutierte Einteilung, die zwangsläufig auch dafür sorgt, dass zwischen Arbeitszeit und Freizeit schön ordentlich unterschieden wird: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”. Während der Arbeitszeit ist man zu Disziplin, Konzentration und Leistung verdonnert, in der Freizeit darf man dagegen tun, was man möchte. Eine Normalität, die es als beneidenswerte Ausnahme erscheinen lässt, wenn ein Mensch „sein Hobby zum Beruf gemacht” hat (während andere „arbeiten müssen”) - was ohne diese Unterscheidung weder möglich wäre noch Neidfakor sein könnte.

Eine (wohlgemerkt: rein ideelle, gedankliche) Auf- und Einteilung, von einer solchen „Selbstverständlichkeit”, dass sie a) zahlreiche weitere „Selbstverständlichkeiten” produziert, und b) eine andere Form der Lebensgestaltung entweder als absurd oder unmöglich oder beides erklärt wird; in jedem Fall so erklärt wird, dass sich ein Nachdenken und Hinterfragen nicht sonderlich lohnen würde.

Auf der vermeintlich einen Seite unseres Lebens befindet sich also die Arbeit, über die man sich allerhand Gedanken machen darf: ist der Arbeitsplatz (noch) sicher, wie sind die Karrierechancen, wie kommt man mit Kollegen und Stess zurecht, dem Stress auf der Autobahn und mit nörgelnden Kunden, wie kommt man mit dem Druck zurecht, mit Umsatzvorgaben „von oben” und der Wirklichkeit „da draußen”, was tun bei Über- oder Unterforderung, Mobbing und/oder „innerer Kündigung” (etc, etc) und wie sorgt man dafür, dass Partnerschaft und Familie nicht darunter leiden?
Das alles: nur beispielsweise. Jeder kennt sich aus. Zumindest: wenn er denn einen Arbeitsplatz hat. Ansonsten geht es darum, einen zu finden, nicht „zu alt” zu sein, qualifiziert zu sein oder sich weiterzubilden, auf Suche zu gehen, etc.

Auf der vermeintlich anderen Seite ist da die „Freizeit”, über die man sich ebenso viele Gedanken machen darf, wie über die Arbeit: neben der Erledigung elementarer Notwendigkeiten zum nackten Überleben (Einkaufen, Kochen, Putzen und Bügeln, Amtsgänge, Steuererklärung und Autowaschen, etc) muss mit dem enormem Rest der ansonsten „freien Zeit” etwas angestellt werden, damit bloß keine Langeweile aufkommt: surfen im Internet, Fernsehen und DVD-Abende, Kino, Restaurant, „Freizeitpark”, „Bungee Jumping”, Computerspiele, was auch immer.

Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gehört die „Freizeitindustrie” zu den „Zukunftsbranchen des 21. Jahrhunderts” mit einem „Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe”, da „die Bundesbürger schon heute 250 Milliarden Euro jährlich in ihre Freizeitgestaltung investieren, was zwischen 10 und 20 Prozent ihres Haushaltseinkommens entspricht”.
Was (u.a.) bedeutet: „Die Freizeit zu gestalten” ist offenbar mit Geldausgeben verbunden, hat mit Konsum zu tun, hält eine ganze Industrie am leben, ist eine „Zukunftsbranche”, sogar eine mit „Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe”.

Das Leben scheint sich also hierzwischen abzuspielen und sonst nirgends: zwischen Arbeit auf der einen und „Freizeit” auf der anderen Seite. Beziehungsweise: einer „Freizeit”, die es irgendwie zu „gestalten” gilt; und zwar vor allem mit dem, was eine Industrie dafür anzubieten hat - oder sich als „Zukunftsbranche” in den nächsten Jahren an Angeboten noch ausdenken wird, was das Bundesfamilien(!)ministerium öffentlich als Anregung für weibliche Existenzgründer empfiehlt.

Unter der Oberfläche verbirgt sich die allgemein für „selbstverständlich” gehaltene Annahme, dass schließlich gearbeitet werden müsse: Menschen müssen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt und sonstige Anschaffungen finanzieren zu können, sowie andererseits eben auch Geld für ihre „Freizeitgestaltung” übrig zu haben (zwischen 10 und 20 Prozent des Haushaltseinkommens, siehe oben).

Kurz: Arbeiten, um neben der reinen Existenzsicherung auch konsumieren zu können, je mehr, desto besser, der Konjunktur, dem Wachstum der Wirtschaft, dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen und damit insgesamt unser aller Wohlstand zuliebe. Das ist das kreislaufende System - nahezu genial, um damit vor allem... Menschen zu beschäftigen; im doppelten Sinne des Wortes.
Oder wie der Soziologe und Politiker Lord Ralf Dahrendorf meinte: „Das Gerede von der Arbeit als einzigem Sinnstifter unserer Existenz ist ein Herrschaftsinstrument. Wenn sie ausgeht, verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht”.

Oben auf der Oberfläche vor aller Augen parat liegt also das Denken, dass nur wer arbeitet und damit „gutes Geld” verdient, und dieses Geld auch in Konsum aller Art „investiert”, auch zum allgemeinen Wohlstand beiträgt. Was umgekehrt heißt: wer nicht arbeitet, trägt auch nichts zum Wohlstand bei, sondern lebt im Gegenteil schmarotzerhaft „auf Kosten derer, die ihn hart erarbeiten”.

Unter der Oberfläche liegt dagegen das Ablenkungsmanöver, dass sich Menschen a) jede Menge Gedanken über (ihre) Arbeit machen, über Arbeitsplätze, über etwaige Arbeitslosigkeit, über etwaige Arbeitskämpfe und notfalls Arbeitssuche, generell wie sie ihr Leben finanzieren (sollen) - sowie b) jede Menge weiterer Gedanken darüber, wie sie ihre „Freizeit” am besten „gestalten”, um sich von a) zu erholen, generell wie sie ihr schwer verdientes Geld wieder ausgeben.

In dieser „Freizeit” wiederum geht es „natürlich” vorwiegend darum, sich von den Belastungen der Arbeitsstunden, dem Stress auf Autobahnen und in Kaufhäusern zu entspannen. Beliebterweise geschieht das mittels des Fernsehprogramms, das neben Spiel- und Quizshows in Dokumentationen, Reportagen und Talkshows wahlweise Erschütterndes und Aufregendes bietet, das „uns alle etwas angeht”, und dem Zuschauer das wohlige Gefühl vermittelt, dass es ihm in all dem Elend dieser Welt und bei all den eigenen Problemen doch immernoch „ganz gut geht”; und vollauf beruhigt ein- oder weiterschlummern kann.

Irgendwo dazwischen wird er mit allerlei Nachrichtenmeldungen konfrontiert, dass der Bundespräsident eine Fähre getauft oder die Schirmherrschaft über den Bau eines Krötentunnels übernommen hat, dass in Neuguinea jeder Bürger jetzt das Recht auf einen eigenen Briefkasten hat, dass in Simbabwe ein Busfahrer eine Haltestelle übersehen hat, dass in irgendeinem deutschen Zoo eine Eisbärin ein Junges geboren hat... und man hält sich für bestens informiert.

Sehr erfolgreich eingelullt wird durch das Ganze allerdings nicht nur der arbeitende Teil der Bevölkerung, sondern auch die etwa 30% der Menschen, die gerade so über die Runden kommen, am Rande der Armut leben oder mittendrin - man stelle sich vor (oder vielleicht auch: besser nicht), diese Menschenmenge würde sich nicht mehr einlullen lassen, sondern auf die Straße gehen. Oder wie der Politiker Peter Glotz meinte: „Solange das Drittel, das kaum mehr etwas hat, ruhig gestellt wird, gibt es keine wirklichen Probleme. Wenn wir so weitermachen, treiben wir das untere Drittel der Gesellschaft in Kriminalität und Chaos”.

Eine gedankliche Vollbeschäftigung, die die Menschen also äußerst erfolgreich davon ablenkt, sich eventuell ein paar andere Gedanken zu machen. Zum Beispiel darüber, welchen Sinn das Ganze eigentlich hat - abgesehen von dem bloßen Zweck, dieses System irgendwie funktionsfähig zu halten.

 

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