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Hauptsache: gesund
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von Cerny ©1992-2011 - zuletzt überarbeitet: 26.06.2011
 

Es ist aufschlussreich, wenn im deutschen Regionalfernsehen zwei Ratgebersendungen mit ähnlichem Titel ausgestrahlt werden: „Hauptsache gesund”, sowie „Hauptsache Arbeit”. Entweder man ist sich nicht ganz einig, welches von beidem nun die Hauptsache ist, oder ganz im Gegenteil: man muss möglichst gesund sein, um fleißig arbeiten zu können.

Der französische Arzt René-Théophile-Hyacinthe Laênnec erfand im Jahr 1816 das Stethoskop. Aus der Scham heraus, die Brust einer weiblichen Patientin nicht berühren zu wollen, rollte er Papier zusammen, um mit diesem „verlängerten Ohr” ihre Atemwege abzuhören. In den Folgejahren entwickelte sich das Stethoskop nicht nur zu dem eindeutigen äußeren Erkennungszeichen eines Arztes, sondern es war der Beginn dessen, was bis heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist: die Dominanz der Technik in der Medizin allgemein, und in der Beziehung zwischen Arzt und Patient im Speziellen.

Seit dem nämlich war und ist die Rollenverteilung immer weniger bis nicht mehr von den Symptombeschreibungen des Patienten einerseits, sowie den Nachfragen und der Erfahrung des Arztes andererseits geprägt. Sondern vom Stethoskop über die Röntgenstrahlen bis zur Computertomographie wurde zunehmend der Technik als „objektives Informationsmittel” vertraut.

So besteht die Tätigkeit eines Arztes heute vornehmlich darin, die Informationen technischer Geräte auszuwerten, statt ausgedehnte Gespräche mit dem Patienten zu führen. Das spart beiden Beteiligten kostbare Zeit und steigert Effizienz und Produktivität der Arztpraxen, die heute zwangsweise als Unternehmen geführt werden müssen und Gewinn zu erwirtschaften haben - unter anderem, um die Kredite für die immens teure technische Ausstattung abstottern zu können.

Ebenso ironisch wie tragisch, dass Patienten gern über diese Distanz zum Arzt klagen, über dessen mangelndes Zuhören und mangelnde Einfühlung, jedoch gleichzeitig erwarten, dass die eigentliche Diagnose und eigentliche Behandlung bitte durch modernste Technologie erfolgt. Es ist also auch der Patient, der die Kompetenz eines Arztes an dessen technischer Ausstattung festmacht.

Nun kann man natürlich auf dem Standpunkt stehen, dass es sich hierbei eben um die Vorzüge und Nachteile der modernen Medizin handeln würde. Man kann dazu argumentieren, dass heutige Lasertechnologie es ermöglicht, Sehschwächen fast komplett zu beheben, dass Operationen möglich sind, ohne die Bauchdecke öffnen zu müssen, indem mikroskopisch kleine Kameras und chirurgische Werkzeuge in den Körper eingeführt werden, etc, etc, etc.

Der eigentliche Knackpunkt liegt jedoch unter dieser Oberfläche verborgen in der Frage, welche und wie viele Eingriffe nur deshalb überhaupt vorgenommen werden, weil die entsprechende Technologie zur Verfügung steht(?). Wie viele Präparate (z.B. zur „Steigerung von Aufmerksamkeit und Leistungsvermögen”) nur deshalb eingenommen werden, weil sie in Apotheken frei erhältlich sind(?).
Einerseits geht es darum, dass Patienten mit leichten Kopfschmerzen heute von ihrem Arzt eine computertomographische Untersuchung erwarten. Andererseits geht es darum, dass der Arzt seinen Computertomographen so oft wie möglich einsetzen muss, damit er sich nicht nur rentiert, sondern idealerweise auch zum finanziellen Gewinn beiträgt.

Apropos „finanzieller Gewinn”: Das herrschende Wirtschaftssystem ist inzwischen dermaßen extremistisch aus der Bahn geraten, dass so ziemlich alle Berufsstände dem Typ „Geschäftsmann” zu- und untergeordnet wurden. So nicht zuletzt auch der Arzt, der Zahnarzt, der Radiologe, der Orthopäde, etc, etc, etc:
Sie alle sind heute gezwungen, ihre Praxis als Wirtschaftsunternehmen zu führen, ihre Tätigkeit in erster Linie(!) betriebswirtschaftlichen Kriterien der Produktivität und Effizienz (etc) unterzuordnen, um die Miete für die Praxisräume, Gehälter ihrer Helferinnen, die Kreditraten für technische Geräte und - erheblich zunehmend - auch Marketing und Werbung - finanzieren zu können.
Dabei kommt nicht nur zwangsläufig der Patient zu kurz, sondern auch der Arzt selbst, der seine Patienten inzwischen als „Zielgruppe” zu betrachten und seine Tätigkeit als „Ware” anzupreisen hat, mit allem, was Betriebswirtschaft, Strategie, Marketing und Werbung hergeben - ob er will oder nicht.

Perfekt dazu passend übrigens, dass (irgendwie entgegen aller üblicher Parolen in Bezug auf Gesundheitsvorsorge) das deutsche Bundesgesundheitsministerium dem „IQWG”
(„Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen”) kürzlich den Auftrag erteilt hat zu ermitteln, wie viel Geld ein zusätzliches Lebensjahr „kosten darf”, das ein Mensch durch einen medizinischen Eingriff dazugewinnt. Oder auch: welcher Preis für einen Eingriff bzw. für ein Medikament so gerade noch „in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen” steht.

Das heißt unter der Oberfläche im Klartext: auch medizinische Vorsorge und/oder Heilung müssen sich rechnen(!). Es geht weniger um das gesundheitliche Wohl eines Erkrankten als vielmehr um die Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit: das Wirtschaftssystem benötigt nicht nur leistungswillige, sondern eben auch leistungsfähige Menschen.

Noch etwas tiefer unter der Oberfläche befindet sich die heute allseits etablierte Auffassung dessen, was überhaupt eine gute und eine schlechte Medizin ist; mehr noch: was überhaupt unter „Medizin” verstanden und damit verbunden, und damit wiederum gleichzeitig ausgeschlossen wird:

Das heutige Verständnis nämlich ist noch immer die mechanistische Auffassung des 17. Jahrhunderts.
Es ist die Auffassung eines Francis Bacon, der anno 1607 den Spruch „Wissen ist Macht” prägte und so genannten „Vater der empirischen Wissenschaft”, der die Natur als „zu bekämpfenden Gegner und Feind des Menschen” betrachtete, und damit die Wissenschaft nachhaltig prägte: weg davon, die Natur besser verstehen zu lernen, sondern „ihr die Geheimnisse entreißen und sie zur Sklavin machen” (Bacon) - weshalb noch heute gegen jede Krankheit „gekämpft” wird, gegen jede Alterserscheinung („Anti-Aging”), sogar gegen das Altern an sich.
Und es ist die Auffassung eines René Descartes (anno 1619), wonach Körper und Geist nichts miteinander zu tun hätten - weshalb noch heute jedwede Erkrankung zunächst einmal auf körperliche Ursachen abgeklopft wird, bevor man eventuell in Erwägung zieht, dass sie (auch) seelisch bedingt sein könnte.

Der Auffassung Descartes' folgt gleichfalls, den menschlichen Körper mit einer Maschine gleichzusetzen, die entweder funktioniert oder nicht-funktioniert (siehe auch: „Körperfunktionen”), und dem entsprechend auch „der” jeweiligen Ursache vermeintlicher „Fehlfunktionen” auf den Grund gehen zu müssen, indem man den Körper detailliert untersucht; quasi eben „zerlegt, wie eine Maschine”.

Exact dieses absurde mechanistische Verständnis ist es, warum heute noch immer gemeint wird, man könne durch die Einnahme von Medikamenten, Vitaminen oder Joghurts oder Bonbons einer Krankheit vorbeugen oder sie bekämpfen, wie man bei einem Motor einen Ölwechsel vornimmt.
Und exact dieses absurde mechanistische Verständnis ist es, warum heute zudem noch immer gemeint wird, eine Krankheit sei etwas, was „von außen in den Körper eindringt” und dort einen Schaden verursacht, so, wie ein Motor beschädigt wird, wenn man ihm Kaffee statt Motoröl einfüllt.
Und exact dieses absurde mechanistische Verständnis ist es, warum heute zudem noch immer gemeint wird, man sei entweder gesund oder krank, man könne also zwischen Gesundheit und Krankheit exact unterscheiden, so, wie ein Motor eben funktioniert oder nicht funktioniert.

Dem gegenüber wird zunehmend gern von „alternativen Heilmethoden”, wie etwa der Homöopathie gesprochen - von Seiten der Pharma-Industrie, der Schulmedizin und deren Verfechtern mit dem scheinbaren Zugeständnis „Wer heilt, hat Recht”, während es gleichzeitig als „Hokuspokus” verhöhnt wird. Denn...

Nicht nur der Pharma-Industrie würden Milliardensummen durch die Lappen gehen, sondern auch den Herstellern medizinischer Geräte, bis hin zu Apotheken, sowie Getränke- und Süßwaren-Produzenten, die ihre Produkte „mit Vitamin C-Zusatz” versehen - wodurch wiederum nicht nur einige Hunderttausend Arbeitsplätze ersatzlos wegfielen, sondern auch der Staat auf einige Milliarden Euro Steuern aus dem Handel von Medikamenten, technischen Geräten, ärztlichen Behandlungen, Klinikaufenthalten, Süßwarenverkäufen, etc, etc verzichten müsste.

Deshalb hat im zurzeit herrschenden System kaum eine Stelle auch nur den Hauch eines Interesses daran, dass alternative Heilmethoden tatsächlich als gleichrangige Alternative zur Schulmedizin gelten, dass Menschen auf Heilpflanzen oder „Omas Hausmittel” zurückgreifen, oder gar ihre Selbstheilungskräfte nutzen. Sondern im Gegenteil wird deshalb das völlig überholte, absurde mechanistische Verständnis des 17. Jahrhunderts gefördert - auf Kosten der Menschen, zum Wohle der (Volks-)Wirtschaft.

 

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